Ob Weltmeisterschaft in Katar, Atomkraft als Überbrückung der Energiekrise, Bahn statt Flugzeug, Frauenquote, Impfen … diese Liste könnte endlos sein, denn unser Alltag ist geprägt von zahlreichen Themen, zu denen eine Haltung unsererseits verlangt wird.
Wir alle kennen diese Situation aus unserm persönlichen Alltag – Meinungen werden zu Fakten und Haltung wird zur Personal Brand. Da will sich gut überlegt sein, zu welchen Themen man sich überhaupt äußern, geschweige denn positionieren möchte.
Aber wie sieht das Ganze für Unternehmen aus? Denn der Wunsch nach Meinung und Haltung macht vor Unternehmen und Marken keinen Halt. Unternehmen sollen ihren Marken Persönlichkeit verleihen, damit wir als Konsument:innen wissen, ob wir eben diese Marke kaufen möchten oder nicht.
YouGov hat in einer Studie herausgefunden, dass 66 % der Proband:innen der Meinung sind, dass Unternehmen ausdrücken sollten, wie sie zu einem bestimmten Thema stehen. 54 % ist es eher wichtig bis sehr wichtig, das Marken einen klaren und transparenten Standpunkt zu gesellschaftlichen Themen haben und 65 % geben an, dass sie Marken mögen, die bereit sind, sich mit gesellschaftlichen Fragen zu befassen (Quelle: YouGov Whitepaper Brand Purpose).
Das jüngst und größte Beispiel: Die Kooperation von Adidas und Ye (aka Kanye West). Seit Langem steht der US-amerikanische Rapper aufgrund diverser Eskapaden in der Kritik der Öffentlichkeit. Trotz teils antisemitischer und rassistischer Äußerungen scheffelte Ye Millionen und das unter anderem auch durch die Kooperation mit dem Sportartikelhersteller Adidas.
YouGov berichtet, dass das Markenimage von Adidas aufgrund der Kooperation mit Ye deutliche Einbußen erfuhr. Nun hat der Konzern jedoch die Reißleine gezogen, sich von dem Rapper distanziert und die Zusammenarbeit beendet. Für den Konzern ein herber Schritt, erwirtschaftete das Unternehmen mit den Yeezy-Produkten rund 1,5 Milliarden Euro Jahresumsatz, was ca. 7 % des gesamten Konzernerlöses ausmacht (Quelle: zeit.de).
Positive Auswirkungen hat der Schritt für den Konzern dennoch. Denn durch die gezeigte Haltung konnte sich auch das Brandimage von Adidas erholen und die Konsumenten haben wieder eine positivere Sicht auf das Unternehmen.
Natürlich ist das nur ein Beispiel von vielen, denn auch wenn Adidas in diesem Beispiel von seiner Haltung zumindest in der Außenwahrnehmung profitieren konnte, gibt es auch andere Fälle, wie beispielsweise das Unternehmen GotBag.
Das Start-up hat sich mit dem Versprechen, seine Produkte aus 100 % recyceltem Plastik herzustellen, im Markt positioniert und sich in der Nachhaltigkeit-Community einen Namen gemacht. Toll, ein Unternehmen, das nicht nur Haltung zeigt, sondern echte Verantwortung übernimmt und es besser macht.
Das böse Erwachen und damit auch der Shitstorm kamen leider schneller, als sich Plastik zersetzen kann: Denn das Werbeversprechen von 100 % Ozean Plastik halbierte sich in der realen Betrachtung. Die Konsequenz: Der Vorwurf von Greenwashing, Imageschaden und Influencer beendeten die Kooperationen mit dem Start-up.
Solche Beispiele machen gerade uns, deren Job es ist, Unternehmen dabei zu unterstützen, ihre Marken in der Außendarstellung ins richtige Licht zu rücken nachdenklich. Wie viel Haltung braucht Werbung? Welche Herausforderungen, Risiken, aber auch Chancen hat das Aufgreifen von aktuellen Themen für Unternehmen? Dazu haben wir unsere Vorstand Frank Mies gefragt und spannende Einblicke erhalten.
Frank, macht es für ein Unternehmen Sinn, aktuelle gesellschaftliche Themen in der eigenen Werbung aufzugreifen?
Ich bin der Meinung, dass Unternehmen in der heutigen Zeit vor allem dann herausstechen, wenn sie Persönlichkeit und Haltung zeigen. Der Wettbewerb steigt stetig und auch Konsumenten werden immer kritischer. Somit sind aktuelle Themen für Unternehmen eine gute Möglichkeit, Haltung zu zeigen. Es sollte aber natürlich immer darauf geachtet werden, dass das Thema zur Marke und deren Werten passt.
Wann macht es für eine Marke denn Sinn, aktuelle Themen aufzugreifen und welchen Herausforderungen können Unternehmen dabei begegnen?
Das Wichtigste ist, dass die Marke einen echten Bezug zu dem aktuellen Thema herstellen und so die Message glaubhaft vermitteln können. Das ist die Basis für die Entscheidung, ob man ein aktuelles Thema in seine Marketingkommunikation Aufnehmen möchte oder nicht.
Dabei muss man noch mal zwischen zwei Aspekten unterschieden: Möchte ich meine kommunikative Reichweite nutzen, um auf das Thema aufmerksam zu machen und hoffe darauf, dass diese Haltung positiv auf mein Image abfärbt oder möchte ich, indem ich Stellung zu einem bestimmten Thema nehme, meine Verkaufszahlen steigern. Wenn das der Fall ist, wird die Sachlage deutlich komplizierter und es ist noch wichtiger, einen echten Bezug herstellen zu können, da sonst sehr schnell die Gefahr von Green- bzw. Socialwashing besteht.
Die größte Herausforderung, die Unternehmen hier begegnet, ist, dass es keinen Plan gibt und man unbekanntes Terrain betritt – es gibt keine Marktforschung und keine Erfahrungswerte. Man muss aus dem Moment heraus agieren und auf sein Gefühl vertrauen. Dafür braucht es Mut als Unternehmen, denn wenn man eine echte Haltung einnimmt, dann muss man diese auch konsequent und glaubhaft in seine Kommunikation einbetten und auch langfristig dazu stehen.
Welche Risiken hat das Aufgreifen von aktuellen Themen für Unternehmen und wie kann man diese vermeiden?
Im Marketing – so ehrlich müssen wir an dieser Stelle sein – ist es üblich, dass Themen etwas überhöht werden und Themen stärker bespielt werden, als es in der Realität möglicherweise passen würde, was in der Regel auch absolut okay ist.
Allerdings bewegen sich Unternehmen hier auf einem sehr dünnen Pfad und es wichtig, dass dieser nicht verlassen wird. So kann es passieren, dass ein Unternehmen, welches keinerlei Bezug zu ökologischen Themen herstellen kann, sich aber zur akuten Klimakrise äußert, weil es gerade Trend ist, leicht in eine Form vom Greenwashing rutscht. Das kann dann einen Shitstorm auf Social Media, einen Imageschaden und im schlimmsten Fall sogar sinkende Verkaufszahlen zur Folge haben.
Um diese Risiken zu vermeiden, ist es wichtig, dass Unternehmen ein gutes Gefühl für ihre Zielgruppe und die Marke haben, denn dann ist klar, wann kommuniziert man und wann nicht.
Welche Chancen liegen in dieser Form des Marketings?
Wir leben in Zeiten der gefühlt unaufhörlichen Krisen – Klimawandel, Corona-Pandemie, Krieg, Inflation – da bekommt man manchmal das Gefühl, dass Marketing an der Lebensrealität der Menschen vorbeigeht. Natürlich ist es das Ziel von Werbung eine positive Emotion mit dem Produkt zu erzeugen, wenn man aber die Sorgen und Gedanken der Menschen ignoriere und so tut, als wäre nichts, dann kommuniziere ich als Marke an der Realität des Konsumenten vorbei und kann somit natürlich auch keine echte Bindung herstellen. Wenn man das aber umkehrt, also den dünnen Pfad, von dem ich bereits gesprochen habe, beschreite, dann habe ich die Chance, mich mit meiner Haltung zu den Themen, die die Konsumenten umtreiben, dauerhaft zu verhaften.
Natürlich auch hier wieder der Hinweis, dass es zur Marke passen muss, aber wenn das der Fall ist, was kann einem Unternehmen Besseren passieren, als sich nachhaltig im Gedächtnis der Konsumenten zu positionieren.
Was ist dein Fazit?
Mein Fazit ist, dass es ohne eine echte Haltung in der heutigen Zeit eigentlich nicht mehr geht. Dabei müssen Unternehmen beachten, dass diese Haltung zu ihnen passt und ehrlich gelebt wird. Wenn diese dann zeitnah und authentisch kommuniziert und für Marketingzwecke eingesetzt wird, dann können Marken von aktuellen Themen in der Werbung durchaus profitieren.
Vielen Dank für diesen spannenden Einblick, Frank. Es zeigt sich, Konsument:innen wünschen sich Haltung von Marken. Für Unternehmen gibt es dabei aber einiges zu beachten und eine pauschale Antwort auf die Frage, wann ein Unternehmen Stellung beziehen soll, gibt es nicht, aber was sagt ihr zu diesem Thema? Sollten Marken aktuelle Themen aufgreifen und Haltung zeigen oder doch lieber unter dem Radar bleiben?